Sehr frühes Mikoskop von Winkel; Stativ V um 1875.
Das Mikroskop ist gefertigt aus zaponiertem und geschwärztem bzw. schwarz
lackiertem Messing und gebläuter Stahl. Das Instrument verfügt
über einen Auszugstubus. Die grobe Einstellung wird durch eine Verschieben
mit freier Hand erzielt, die feine durch eine Rändelschraube auf der
für diesen Hersteller typischen prismatischen Säule. Das Mikroskop
verfügt über einen dreh- und schwenkbaren Plan- und Konkavspiegel
sowie über eine Zylinderblende in aus der optischen Achse schwenkbarer
Halterung. Der Tisch ist nicht für Objektklemmen vorgesehen.
Auf dem oberen Tubusstück ist das Instrument sehr dekorativ signiert:
No 62 Die optische Ausrüstung des Mikroskop besteht aus den Okularen Nr. II, Nr. IV und Nr. V (mit eingelegtem Mikrometer) sowie den Objektiven Nr. 2, Nr. 4, Nr. 5 und Nr. 8, welche analog zu den Optiken aus der Werkstatt von Hartnack in einer mit heller Seide gefütterten Schatulle zusammen mit den Zylinderlochblendeneinsätzen aufbewahrt werden. Dieses Mikroskop wird im Preisverzeichniss der Mikroskope von R. Winkel in Göttingen aus dem Jahre 1875 geführt als:
I. Stative.
No. 5 Eine auf hufeisenförmigem Fuss befestigte runde Säule
trägt den viereckigen 76 mm. breiten Tisch, unter welchem statt des
Schlittenauszugs für die Zylinderblende ein mit federnder
Verschiebungshülse versehener Arm mittelst Stahlschraube derartig befestigt
ist, dass der Hals der letzteren als Drehaxe dient, und somit der ganze
Blendapparat beim Blendenwechsel oder bei Anwendung schiefen Lichts bequem
zur Seite gedreht werden kann, ohne dass seine Verbindung mit dem Stativ
aufgehoben wird. Grobe Einstellung mittelst Tubusverschiebung; feine durch
Mikrometerschraube an prismatischer Säule ... 75 Mark. [...] II. Objektive und Okulare.
[...]
NB: Die Vergrösserungen gelten für volle Tubuslänge
und für eine Sehweite von 250 mm. Der Preis dieses Mikroskops beläuft sich ohne den Zeichenapparat und bei angenommenen 10 Mark für den Kasten auf insgesamt 244 Mark. Bereits 1873 werden die Mikroskope von Winkel vom Rostocker Anatomen Prof. Friedrich Merkel (1845-1919) recht ausführlich beschrieben und verglichen (Fr. Merkel: Die Mikroskope von R. Winkel in Göttingen. Archiv für Mikroskopische Anatomie 9 (1873): 126-128):
Die von R. Winkel in Göttingen hergestellten Mikroskope
haben zwar bis jetzt noch keine unerreicht starken Linsensysteme, obgleich
er augenblicklich Immersionslinsen von sehr beträchtlichen
Vergrösserungen verfertigt, allein seine Instrumente zeichnen sich durch
drei Eigenschaften aus, die man in dieser Vollkommenheit nicht leicht vereinigt
finden wird. Zuerst muss die ausserordentliche Lichtstärke hervorgehoben
werden, die auch die stärksten Systeme auszeichnet; dann ist das bedeutende
Auflösungsvermögen zu erwähnen, welches durchweg allen
Objectivlinsen eigen ist. Als dritte lobenswerthe Eigenschaft nenne ich noch
den sehr beträchtlichen Focalabstand der starken Systeme, welcher z.B.
bei System Nr. 9 noch Deckgläser anzuwenden erlaubt, die schon bei Hartnack
Nr. 8 vermieden werden müssen. Zu alledem kommt dann noch die
verhältnissmässig grosse Billigkeit. Ich glaube nicht zuviel zu
sagen, wenn ich behaupte, dass die Mikroskope von Winkel für den
histologischen Arbeiter augenblicklich in jeder Hinsicht die
empfehlendswerthesten genannt werden müssen. Dies Urtheil findet eine
bedeutende Stütze an dem vortrefflichen Sachkenner Dippel und wird ausserdem
dadurch als richtig bestätigt, dass fast alle Gelehrten, die in der
letzten Zeit Gelegenheit hatten, diese Instrumente auf der Göttinger
Anatomie zu prüfen, Bestellungen abschlossen. Preisverzeichniss der Mikroskope von R. Winkel. [ ]
Nr. IV. In der Form an die Merz'schen Stative erinnernd 32 Thlr. [ ] |
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Die Fassung der Objective ist die gewöhnliche, dich
verdient hervorgehoben zu werden, dass die Correctionsvorrichtung bei Nr.
9 die innere Linse verschiebt, und also den äusseren Umfang der Fassung
nicht verändert. Stärkere System mit Immersion sind, wie bemerkt,
in Arbeit und werden demnächst fertig gestellt
werden.
Die Oculare sind mit nicht geringerer Sorgfalt behandelt, wie die Objectivsysteme und sind so lichtstark, dass auch stärkere Ocularvergrösserungen mit sehr gutem Erfolg benutzt werden können. Was schliesslich die Stative betrifft, so sind die Spiegel in der gewöhnlichen Weise nach allen Seiten beweglich, doch vertical nicht verschiebbar. Zwei Jahre später schreibt der selbe Autor (Friedrich Merkel: Das Mikroskop und seine Anwendung. Druck und Verlag von R. Oldenbourg, München 1875: 134): Das letzte Institut von dem hier gesprochen werden muß, ist das von Winkel in Göttingen. Es ist erst seit etwa drei Jahren in Thätigkeit, liefert jedoch Mikroskope, welche alle anderen übertreffen. Die prachtvoll achromatischen Bilder, welche diese Instrumente geben, lassen selbst die von Hartnack und Zeiss hinter sich. Ebenso ist der Focalabstand ein größerer als bei allen übrigen Mikroskopen. Die helligkeit und Schärfe der Systeme ist so, daß man sich nur schwer an andere Instrumente gewöhnt, wenn man eine Zeitlang mit solchen von Winkel gearbeitet hat. Besonders ist hervorzuheben, daß auch die stärksten Oculare noch lichtstark und trefflich brauchbar sind. Die Fabrik liefert sechs Stative, von denen das eine in Figur 33 abgebildet ist. Allen werden die gleichen Linsen gegeben. Immersionssysteme werden jedoch bis jetzt von derselben noch nicht hergestellt, doch ist das stärkste Trockensystem an Güte und Stärke Hartnack's XI. gleich. |
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Bei dem hier gezeigten Zeichenapparat handelt es sich offenbar
um einen Prototypen. In das Holz des Kastens dieses Mikroskops ist der Name
des ehemaligen Besitzers G. Holle
eingestanzt.
Hermann Gustav Holle (1852-1926) wird als Sohn eines Mechanikers in Göttingen geboren und studiert an der Göttinger Universität. 1875 promoviert Holle mit der Dissertation Ueber Bau und Entwicklung der Vegetationsorgane der Ophioglosseen. Er wird 1876 Hauptlehrer an der Landwirtschaftsschule in Kleve und ist ab 1878 Lehrer an der Realschule (später Gymnasium) in Bremerhaven. 1899 erhält H. G. Holle den Professorentitel. Er verfasst verschiedene Schulbücher zur Botanik und legt den ersten Schulgarten in Bremerhaven an). Dr. H. G. Holle beschreibt den hier gezeigten eher ungewöhnlichen Zeichenapparat in allen Details 1875, jedoch ohne die ausführende Werkstätte namentlich zu nennen (H. G. Holle: Ein neuer mikroskopischer Zeichenapparat. Nachrichten von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-August-Universität zu Göttingen aus dem Jahre 1876 (1) (1876): 25-27): |
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Die Anwendung mikroskopischer Zeichenapparate bei morphologischen Untersuchungen der Botaniker hat in den letzten Jahren sehr zugenommen. Namentlich bei der Publication von Zeichnungen, bei welchen es auf genaue Wiedergabe der Form und Lage der Zellen ankommt, gilt die Anwendung des Zeichenapparates zur Erhöhung der Beweiskraft der Zeichnungen als beinahe unumgänglich. Nun wird aber jeder, dessen Untersuchungen ihn nöthigten zum Zeichenapparate zu greifen, verschiedene Uebelstände der bisher üblichen Constructionen lebhaft empfunden haben. Sie führen sämtlich eine unbequeme Haltung des Auges mit sich, die leicht eine Ermüdung desselben verursacht. Die meisten verursachen auch eine unbequeme Haltung der Hand auf einer senkrechten oder geneigten Fläche. Dazu kommt bei den einfachen Zeichenprismen die spiegelbildliche Umkehrung des mikroskopischen Bildes, die bei der nachherigen Eintragung der Détails der Zeichnung lästig wird. Bei dem doppelten Zeichenprisma von Oberhäuser, wo dieser Fehler vermieden ist, wird das mikroskopische Bild durch die auch bei eingeschobenem Tubusauszug unvermeidliche Verlängerung der Mikroskopröhre übermäßig vergrößert. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||
Diese Uebelstände habe ich durch Construction eines
neuen Zeichenapparates zu beseitigen versucht. Derselbe beruht auf dem Principe,
nicht den Zeichenstift selbst oder sein Spiegelbild, sondern das durch Linsen
entworfene Sammelbild desselben zur Anschauung zu bringen. Zu diesem Behufe
dient das Ocular des Mikroskopes in seiner gewöhnlichen Lage zugleich
als Ocular für ein auf die Distanz der Mikroskophöhe eingerichtete
Fernrohr, dessen Axe mit Anwendung geeigneter Spiegel zweimal rechtwinklig
umgebogen ist. Der erste, natürlich durchsichtige Spiegel befindet sich
unmittelbar unter dem Ocular, der zweite über dem Objectiv des Fernrohrs.
Ersterer ist von möglichst geringer Dicke (0,2 mm.), damit die Bilder
des Zeichenstiftes, welche die Ober- und Unterseite der Glasplatte entwerfen,
noch aufeinander fallen. Der belegte Spiegel über dem Objective wird
dagegen zweckmäßig von ziemlicher Dicke genommen oder durch ein
Prisma ersetzt. Zwischen beiden Spiegeln befindet sich eine Linse, welche
das verkehrt entworfene Bild des Zeichenstiftes wieder umkehrt. Bei der Anwendung des Apparates, wie er mir fertig vorliegt, wird das mikroskopische Bild direct und ohne Belästigung des Auges gesehen. Die zeichnende Hand liegt unmittelbar rechts neben dem Mikroskope, also in der denkbar bequemsten Lage. Das Bild wird ohne Umkehrung gezeichnet und in einem Maßstabe welcher der Combination des angewandten Objectives mit einem schwachen Oculare entspricht. Bei Anwendung schwächerer Objective erfordert der Apparat, wie jeder andere, eine Verdunklung des Gesichtsfeldes, damit das Bild des Zeichenstiftes deutlich gesehen wird. Bei Anwendung starker Objective oder dunklerer Objecte tritt dagegen dieses Bild von selbst deutlich genug hervor. Ich habe mit dem Apparate dicke Schnitte durch meristematisches Gewebe, deren Zeichnung mit dem Oberhäuser'schen Prisma nicht möglich war, bequem entwerfen können. Es sei mir erlaubt, bei dieser Gelegenheit noch ein Mittel zur Beseitigung des Uebelstandes zu empfehlen, der bei jedem Zeichenapparate in Betracht kommt. Das Bild des Objectes wird nämlich, indem er [sic!] mit dem Bilde des hellen Zeichenpapiers im Auge zur Deckung kommt, nothwendig weniger deutlich gesehen, ein Uebelstand, der sich besonders bei dunklem Gesichtsfelde bemerklich macht. Man kann denselben dadurch vermeiden, dass man mit einem weißen Stift auf dunklem Grunde zeichnet. Um aber das gezeichnete nicht copiren zu müssen, nimmt man am besten schwarzes ungeglättetes Papier, das man auf der Rückseite mit Bleistift schwärzt und auf das Zeichenpapier legt. Die Striche eines zugespitzten Knochenstäbchens sind auf ungeglättetem schwarzen Papiere deutlich genug zu erkennen, um zu wissen, welche Linien des Bildes schon auf dem darunter liegenden Zeichenpapiere stehen und welche noch nicht. Wenige Jahre später wird der Apparat auch in der Zeitschrift der Royal Microscopical Society besprochen (Journal of the Royal Microscopical Society 1883: 423-424):
Holle's Drawing Apparatus.§- The device of Dr. H. G. Holle
differs essentially from allother forms of drawing apparatus, and was suggested
with the view of obviating the difficulties found with the ordinary forms
in regard to the eye and hand having to be placed in very inconvenient positions.
§ Nachr. K. Gesell. Wise. Gottingen, 1876, pp. 25-7. Weitere erhaltene Ausführungen dieses Zeichenapparates sind bisher nicht bekannt. Dieses Mikroskop kann im August 2008 über einen Händler aus Chemnitz für die Sammlung erworben werden. |
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Der am 4. September 1827 als Sohn eines Lehrers in Göttingen geborene Rudolf Winkel wird durch den frühen Tod seines Vaters gezwungen den Besuch des Gymnasiums frühzeitig abzubrechen. Winkel lernt bei der Hamburger Firma Lipperts Maschinenbauer und erweitert seine handwerklichen Fähigkeiten bei der Eggerstorffschen Maschinenfabrik Hannover. Auf eine Beschäftigung beim Bau feinmechanischer Instrumente im Betrieb von F.W. Breithaupt & Söhne Kassel folgen für Rudolf Winkel mehrjährige Aufenthalte in verschiedenen Werkstätten Thüringens, Böhmens und Österreichs. Schließlich kehrt Winkel um 1855 nach Göttingen zurück und baut in der Werkstatt von Moritz Meyerstein feinmechanische Instrumente für die Göttinger Universität, er heiratet noch im selben Jahr. 1857 mietet Winkel in der Goethe-Allee Göttingen Räume an, um dort feinmechanische Arbeiten für Breithaupt und die Universität auszuführen. Der erste Lehrling Winkels wird 1858 F.G. Voigt, der spätere Inhaber von Voigt & Hochgesang. Als Folge des Krieges 1866 gerät das noch junge Unternehmen in Schwierigkeiten, da die Verbindung nach Kassel abreißt und damit ein wichtiger Kunde verloren geht. Doch eine Trichinose-Epidemie in Süd-Hannover läßt die Nachfrage nach einfachen Mikroskopen durch Rudolf Virchows Publikation 1864 zur mikroskopischen Fleischbeschau sprunghaft steigen und so verläßt im Jahre 1866 das erste Trichinenmikroskop die Winkel'sche Werkstatt. 1870 kommen aus Göttingen die ersten größeren Mikroskope, sie werden von Prof. Listing begutachtet - er vergleicht sie mit den damals sehr renomierten englischen Instrumenten und bescheinigt Winkel eine bessere Qualität seiner Instrumente als jene der Britischen Inseln. Bemerkenswert scheint dies insbesondere vor dem Hintergrund Winkels, der als Autodidakt sogar die von ihm verwendeten Maschinen zur Fertigung der Mikroskope selbst konstruiert und sämtliche Optiken zu dieser Zeit noch "pröbelnd" optimiert. Die Winkel'sche Werkstatt zieht 1874 in eigene Räumen: Düstere Eichenweg 9, Ecke Baurat Gerber-Straße in Göttingen - 1872 war der älteste der drei Söhne Winkels als Lehrling in den Berieb eingetreten. Es wird Rudolf Winkel nachgesagt, er habe jedes Instrument seiner Werkstätte selbst überprüft und ein Mikroskop der geringfügigsten Unebenheit wegen mit dem Hammer zerschlagen, ohne die Möglichkeit zur Behebung des Fehlers nur in Betracht zu ziehen. (Referenz 2, 25, 32, 44, 98) |
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