Mikroskop von Carl Kellner in Wetzlar


Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87 Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87 Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87 Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87

Frühes Kellner Mikroskop; gefertigt 1854. Das Mikroskop besteht aus zaponiertem und geschwärztem Messing, lackiertem Eisen und gebläutem Stahl. Der grobe Fokus des Instrumentes wird durch einen Schiebetubus erreicht, die Feineinstellung durch einen Prismentrieb, dessen Rändelrad mit der Hand bequem auf dem Tisch liegend bedient werden kann.

Der Hohlspiegel ist auf einer Gabel auf dem runden Fuß befestigt und zweifach gelagert; unter der Tischplatte befindet sich eine Revolverlochblendenscheibe mit vier Aperturen.

Kellner Mikroskop Nr. 86 aus: Dr.med.habil. Alexander Berg: Ernst Leitz Optische Werke Wetzlar 1849 - 1949; Umschau Verlag; Frankfurt am Main 1949 Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87Auf dem Tubusträger befindet sich die eingeschlagene Signatur:

C. Kellner
 in Wetzlar. No 87.

Auf mehreren Teilen des Mikroskops befindet sich die kleine Schlagzahl 10. Da es sich bei den Bauteilen des Mikroskopstativs um Dreh- und Frästeile handelt, ist davon auszugehen, dass zur Minimierung der Maschineneinstellzeiten eine Kleinserie von mindestens zehn identischen Mikroskopen hergestellt worden ist.

In der Sammlung der Leica Microsystems GmbH, ausgestellt im Rathaus der Stadt Wetzlar, ist eines der ersten Mikroskope von Carl Kellner zu sehen, es trägt noch keine Seriennummer. Ein ähnliches Mikroskop wird 2005 bei Christie's in London verkauft. Erst dem 65. Instrument wird eine Seriennummer in das Mikroskopstativ eingeschlagen. 

Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87Das frühste bekannte erhaltene Mikroskop mit der Signatur C. Kellner in Wetzlar und einer Seriennummer steht heute im Deutschen Museum in München, es trägt die Seriennummer 86 und ist als das Schwesterinstrument zu dem hier gezeigten Mikroskop zu verstehen. Diese beiden Instrumente zeigen eine Kompensationsschraube zur Nachstellung der Ganggenauigkeit der Feineinstellung, welche bei den ersten Mikroskopen aus Kellners Werkstatt noch fehlen. Bereits bei Seriennummer 91, ebenfalls in der Sammlung der Leica Microsystems GmbH, verfügt diese Kompensationsschraube über eine für den Gebrauch sehr sinnvolle Kontermutter. In jener optimierten Form ist die Kompensationsschraube als sehr zweckmäßige mechanische Besonderheit in den späten 1850ern bis zum Ende der 1860er nur bei den Mikroskopen aus dem Umfeld von Carl Kellner und Moritz Hensoldt zu finden.

Das hier gezeigte Mikroskop stammt damit zusammen mit dem im Deutschen Museum München gezeigten Instrument aus den ersten Kleinserien, bei denen die Kompensationsschraube als typisches Merkmal Kellner'scher Mikroskope eingeführt wird.

Unterschrift Carl Kellner; Abb. aus: Dr.med.habil. Alexander Berg: Ernst Leitz Optische Werke Wetzlar 1849 - 1949; Umschau Verlag; Frankfurt am Main 1949 Nach dem zweiten Geschäftsbuch des optischen Instituts (S. 51/II) wird das Kellner Mikroskop mit der Seriennummer 87 als "kleines Mikroskop" am 18.08.1854 an stud.med. Benighof aus Giessen verkauft. Dieser Medizinstudent holt das Mikroskop persönlich ab und bezahlt inklusive passender Deckgläschen für das Mikroskop 50 Taler.

Es dürfte sich bei diesem Studenten um David Benninghof aus Mölsheim handeln, der am 19.04.1855 an der Universität Gießen mit der Dissertation Geschichte der Forschungen über den Geburtsmechanismus des neuten Lustrums des 18. Jahrhunderts (Universität Gießen 1856) zum Doktor der Medizin promoviert.

Pieter Harting schreibt 1856 zu den Mikroskopen aus der Werkstatt des Optischen Instituts in Wetzlar (Pieter Harting: Das Mikroskop - Theorie, Gebrauch, Geschichte und gegenwärtiger Zustand desselben. Deutsche Originalausgabe, vom Verf. revidirt u. vervollst.; Vieweg; Braunschweig 1859: 736-737):

Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87: KompensationsschraubeSeit 1849 hat sich ferner Carl Kellner in Wetzlar als Mikroskopverfertiger einen Namen gemacht. Ich habe nur drei seiner kleineren Mikroskope zu sehen bekommen. Alle drei sind in optischer Beziehung vorzüglich gut gearbeitet; nur haben sie zu wenig Wechsel in der Vergrösserung, da nur ein Objectiv und zwei Oculare dazu gehören. Das eine davon habe ich genauer untersucht.

Zu der Qualität der Optiken schreibt Harting weiter:

Das Objectiv besteht aus zwei achromatischen Doppellinsen und hat eine Brennweite von 7,9 Millimeter. Die Aberrationen, zumal die sphärische, sind aber so vollkommen verbessert, dass man weit stärkere Oculare damit verbinden kann, als es gewöhnlich zu geschehen pflegt; daher schien es, an den nämlichen Probeobjecten geprüft, im optischen Vermögen einem Oberhäuser'schen Linsensysteme von 3,22 Millimeter und einem Nachet'schen Systeme von 4,8 Millimeter Brennweite gleich zu stehen. In dieser Beziehung stand es nur dem Amici'schen Systeme von 8,7 Millimeter Brennweite nach.
Mikroskop C. Kellner in Wetzlar No. 87Mit den beiden Ocularen hatte man eine 200malige und eine 235malige Vergrösserung. Zu einem der Mikroskope gehörte übrigens ein stärkeres Ocular, und die Vergrösserung stieg dadurch bis zu 460, jedoch ohne Vortheil für die Beobachtung.
Die Kellner'schen Mikroskope zeichnen sich besonders durch das grosse und geradflächige Gesichtsfeld aus. Sein Durchmesser für eine Sehweite von 25 Centimeter beträgt bei den genannten Ocularen 22, 26 und 27 Centimeter. Ungeachtet dieser grossen Ausdehung macht sich gleichwohl fast keine Krümmung des Feldes bemerkbar. Nur mit dem einen Oculare kommen noch schwache Spuren davon vor; die sehr geringe Krümmung liegt aber nach innen, also gerade umgekehrt wie gewöhnlich.

[...]

Die ungewöhnliche Grösse des Gesichtsfeldes beim Kellner'schen Mikroskope rührt einestheils davon her, dass das Collectivglas dem Oculare mehr genähert ist, anderntheils auch davon, dass, zum Theil hierdurch, die Kellner'schen Oculare stärker vergrössern. Das schwächste Ocular giebt gut eine achtfache Vergrösserung des durch das Objectiv erzeugten Bildes, während die schwächsten Oberhäuser'schen und Nachet'schen Oculare noch nicht halb so stark vergrössern.

Die mechanische Einrichtung dieser Mikroskope ist einfach und zweckmässig. Sie haben einen scheibenförmigen Fuss, einen runden Objecttisch, dazwischen einen kleinen Hohlspiegel und ein drehbares Diaphragma mit vier Oeffnungen. Die feine einstellung wird durch eine hinten an der Stange angebrachte Mikrometerschraube bewirkt, ähnlich wie an den neueren Instrumenten von Oberhäuser und Nachet.

Dieses Mikroskop taucht Ende September 2006 beim Flohmarkt auf dem Wal*Mart Parkplatz in Mannheim Rheinau auf. Der Käufer des Instruments veräußert das Mikroskop wenige Tage später an diese Sammlung.

Carl Kellner; Abb. aus: Dr.med.habil. Alexander Berg: Ernst Leitz Optische Werke Wetzlar 1849 - 1949; Umschau Verlag; Frankfurt am Main 1949 Friedrich Belthle; Abb. aus: Dr.med.habil. Alexander Berg: Ernst Leitz Optische Werke Wetzlar 1849 - 1949; Umschau Verlag; Frankfurt am Main 1949 Werkstatt und Wohnhaus von Carl Kellner; Abb. aus: Dr.med.habil. Alexander Berg: Ernst Leitz Optische Werke Wetzlar 1849 - 1949; Umschau Verlag; Frankfurt am Main 1949
Carl Kellner (26.03.1826 - 13.05.1855) gründet das Optische Institut in Wetzlar zusammen mit Moritz Hensoldt im Jahre 1849. Das erste Mikroskopokular wird am 22. Dezember 1849 an den Bremer Apotheker Georg Christian Kindt geliefert, schon am 23. Januar 1850 folgt das nächste Okular an diesen Kunden. Kellner Mikroskop Nr. 86 aus: Alexander Berg: Carl Kellner, Der Begründer der optischen Industrie in Wetzlar; Optische Werke Ernst Leitz Wetzlar; Wetzlar 1955Moritz Hensoldt; Abb. aus: M. Hensoldt & Söhne Optische Werke AG Wetzlar: 100 Jahre M. Hensoldt & Söhne Optische Werke AG Wetzlar; Verlag Hoppenstedts Wirtschaftsarchiv GmbH; Darmstadt 1952 Das erste Mikroskop wird allerdings erst ein gutes Jahr später, am 9. Mai 1851 nach Genf ausgeliefert. Die Instrumente werden sehr gut angenommen und bis 1854 können 131 Mikroskope verkauft werden. Kellner erkrankt 1854, sein nahes Ende ahnend weiht er seinen Cousin und Gehilfen Ludwig Engelbert in alle technischen Feinheiten der Herstellung der Mikroskope ein und überträgt ihm die Leitung der Werkstätte kurz vor seinem Tod. Als im Dezember 1856 jedoch Friedrich Belthle (27.02.1829 - 09.05.1869), ebenfalls ein ehemaliger Gehilfe dieser Werkstatt, die Witwe Kellners heiratet (die bereits im August 1856 außerehelich ein Kind von Belthle zur Welt bringt), scheidet Engelbert aus dem Unternehmen aus. Belthle führt die junge Firma weiter, ab August 1857 mit Heinrich Friedrich Rexroth als Teilhaber.

Belthle gelingt es, den Ruf der Firma zu wahren, er bringt selbst aber bis auf die mechanische Optimierung der Instrumente nur geringe Neuerungen hervor. Die Geräte werden in Medizinerkreisen anerkannt, die Firma "Belthle & Rexroth (C. Kellners Nachfolger)" stellt bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte im September 1858 in Karlsruhe Mikroskope aus, die Belthle dort persönlich präsentiert. Zu dieser Zeit werden in den Lohnlisten des Unternehmens unter anderem Ernst Gundlach sowie Wilhelm und Heinrich Seibert geführt. Im Jahre 1861 trennen sich Belthle und Rexroth wieder - im selben Jahr verlegt ihr Glaslieferant Théodore Daguet seine Glashütte von Solothurn nach Freiburg/Schweiz.

Ernst Leitz tritt Anfang 1864 in die Werkstätte ein, die zu jenem Zeitpunkt eine Jahresproduktion von ungefähr 70 Mikroskopen verzeichnet und sich nach wie vor in dem von Kellner gekauften Haus "am reformierten Treppchen" befindet. Bereits am 7. Oktober 1865 wird Ernst Leitz Teilhaber des Unternehmens. Unter gemeinsamer Leitung wird am 3. September 1867 das 1000. Mikroskop ausgeliefert.

[Vergleiche Referenz 4, 5, 34, 56, 74, 97; ein identisches Mikroskop: Deutsches Museum München: "'Mikroskop', signiert: C. Kellner Wetzlar Nr. 86, Wetzlar ca. 1853", Inv.-Nr. 37000]

(Datierung mit freudlicher Unterstützung von Christine Belz-Hensoldt, Château de Marigny, Frankreich, 14.10.2006 und Telefonat mit Rolf Beck, Archiv Leica Microsystems GmbH, 17.10.2006; Finanziert wird der Ankauf dieses Mikroskops durch freundschaftliche Unterstützung von Kristin Mandisloh mit einem kurzzeitigen zinslosen Kredit)


11.10.2006 by Timo Mappes

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