R. Fuess: Großes petrografisches Mikroskop
Großes Mikroskop für petrografische Untersuchungen; Stativ
II von R. Fuess Berlin von 1895. Das Mikroskop besteht aus zaponiertem,
geschwärztem und vernickeltem Messing bzw. lackiertem Eisen und
gebläutem Stahl. Die Grobeinstellung erfolgt über ein
Rändelradpaar mit Zahn und Trieb, während die Feineinstellung
über einen Glockentrieb auf eine Prismensäule realisiert wird,
welche Dickenmessungen bis zu 5 Mikrometern zulässt.
 Das Mikroskop ist ausgerüstet mit dem vervollständigten
Tubus mit drehbarem Innennicol und einer Irisblende unter der Bertrandlinse.
Die Beleuchtung erfolgt über einen dreh- und schwenkbaren Hohl- und
Planspiegel. Der große Polarisator besitzt eine Irisblende und kann
in seiner Zylinderhülse über Zahn und Trieb dem Objekt genähert
werden. Diese Hülse verfügt nach dem Vorschlag von C. Klein aus
dem Jahre 1895 ihrerseits über einen Feintreib, der kleinste Drehungen
des Polarisators gestattet um die Schwingungsrichtungen auf das genaueste
korrigieren zu können. |
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Letztere Einrichtung wird von Fuess ab 1895 sonst
ausschließlich am Stativ VI mit synchroner Drehung der Nicols
ausgeführt.
Dieses Mikroskop verfügt über einen sehr aufwendigen
Kreuzschlittentisch. Während die eine der beiden Schrauben bei einer
Ganghöhe von 0,5 mm als Mikrometerschraube mit Inkremeten zu 10 Mikrometern
ausgeführt ist, dient die andere mit starker Steigung und einem
dreigängigen Gewinde dem schnellen Absuchen des Präparats. In diesen
Drehtisch integriert ist ferner eine Kondensorlinse, die über einen
seitlichen Schwenkarm bei Bedarf in den Strahlengang eingebracht werden kann.
Die Signatur ist dem Benutzer zugewandt auf der breiten rechteckigen Säule
des Stativs dekorativ mehrzeilig graviert: |
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 R.Fuess
Steglitz bei Berlin
No. 545
An optischer Ausstattung verfügt dieses Instrument über die Objektive
Nr.0,
Nr.2,
Nr.4,
Nr.7 und
Nr.9 sowie über die Okulare
Nr.1 (mit Mikrometer),
Nr.2,
Nr.3, das unbezeichnete Nr.4 und ein Okular
Nr.B mit vierteiliger Bertrand'scher Quarzplatte
für stauroskopische Untersuchungen. Nach Carl Leiss: Die Optischen
Instrumente der Firma R. Fuess, Deren Beschreibung, Justierung und Anwendung
(Berlin 1899) ergibt sich bei ausgeschaltetem Tubusanalysator und einer
Tubuslänge von 180 mm die Vergrößerungstabelle für diese
Optiken. |
Objektivdaten |
Vergrößerung mit Okularen |
Bezeichnung
der Objektive |
Numerische
Apertur |
Äquivalente
Brennweite
in mm |
Freier
Objektabstand
in mm |
Objektives Sehfeld
mit Okular Nr. 2
in mm |
No. 1 |
No. 2 |
No. 3 |
No. 4 |
0 |
- |
31 |
39 |
4,75 |
24 |
30 |
40 |
55 |
2 |
0,2 |
22 |
15 |
2,8 |
38 |
52 |
70 |
90 |
4 |
0,25 |
14 |
8 |
1,6 |
65 |
88 |
120 |
140 |
7 |
0,9 |
5 |
0,85 |
0,55 |
180 |
225 |
300 |
400 |
9 |
0,97 |
2,7 |
0,60 |
0,3 |
325 |
410 |
540 |
775 |
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 Die Objektive verfügen jeweils über einen vernickelten
Ring zur Aufnahme am konischen Gegenstück des Objektivzangenwechslers.
Diese Zentrierung der optischen Achse des Tubus über die Objektive auf
das Objekt ist die endgültige Lösung der von Harry Rosenbusch 1876
geforderten Bedingung. Im ersten petrografischen Mikroskop wird der gesamte
Tubus auf den Tisch zentriert, später der Tisch auf den Tubus und
schließlich, wie hier, die Objektive relativ zu Tisch und Tubus.
Als weiteres Zubehör ist diesem Mikroskop ein Objektmarkierer mit
Diamantspitze beigegeben. Dieser wird zusammen mit dem Zangenobjektivwechsler
verwendet und ermöglicht es, besondere Stellen eines Präparats
durch eine geritzte Kreislinie auf dem Deckglas zu kennzeichnen. Carl Leiss
beschreibt die Verwendung dieses Apparats in zuvor genanntem Werk 1899 wie
folgt:
Bei der Benutzung des Apparates wird, nachdem durch Beobachtung
die fragliche Stelle gefunden, dieser an Stelle des Objektives in den
Zangenwechsler geklemmt; darauf wird der Tubus so weit gesenkt, bis die
Diamantspitze sicher auf dem Deckglas aufsitzt [...]. Die Kreislinie
kann nun, vorausgesetzt, dass das benutzte Mikroskop mit drehbarem Objekttisch
versehen ist, auf zwei Methoden gezogen werden, und zwar: 1. indem man den
Tisch um eine volle Drehung bewegt, oder 2. indem man den kleinen Apparat
an seiner Hülse H zwischen Daumen und Zeigefinger gefasst, um seine
Axe dreht.
[...]
Noch einen weiteren Vorteil besitzt dieser kleine Apparat, indem man an
Mikroskopen, welche mit beweglichen Tischen versehen sind, auch mit Hülfe
der Bewegung dieser Tische Linien und Netze aufziehen kann.
Das Mikroskop wird stehend im zugehörigen Kasten aufbewahrt. |
Einige der an diesem Mikroskop ausgeführten Bauteile sind
Neuerungen aus dem Jahr 1895. In der Liste "Ergänzungen zu den
Preis-Verzeichnissen 1891 u. 1894 über krystallographische und
petrographische Instrumente von R. Fuess Steglitz bei Berlin" aus dem Jahre
1895 werden sie wie folgt aufgeführt: |
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Mikroskope und neuere Nebenapparate |
9. |
Tubus mit drehbarem Innennicol und einer Irisblende unter der
Bertrand-Linse (Fig.9). |
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Die Drehung des Innennicols kann um einen Winkel von
90 Grad erfolgen, und an einem am Mantel des Tubus angeschraubten, in Grade
getheilten Quadranten abgelesen werden. Die Parallele und gekreuzte Stellung
des Nicols wird noch durch besondere sichere Anschläge markirt. - Zur
Beobachtung von Axenbildern in kleinen Mineral-Durchschnitten können
letztere durch Zusammenziehung der Irisblende von der störenden Umgebung
getrennt werden. Eine dem Tubus beigegebene 2. Bertrandlinse ist so eingerichtet,
dass sie mit einem der gewöhnlichen Oculare (Nr.2) das deutliche,
vergrösserte Axenbild zeigt; es kann auf diese Weise ohne Auswechslung
oder Entfernung des Oculares, nachdem der Krystall eingeschnürt, sofort
die Bertrandlinse eingeschoben und das Axenbild gesehen werden.
Der Preis eines neuen Mikroskopes mit den vorgenannten
Vervollständigungen am Tubus erhöht sich um...Mark 38
Einrichtung des drehbaren Nicols allein....." 20
Irisblende unter der Bertrandlinse allein....." 18
[...]
Bei älteren Instrumenten, welche mit beiden oder einer
der beiden Neuerungen versehen werden soll, wird sich der Preis, da eine
nochmalige Aufarbeitung oder auch Neuanfertigung des Tubus und die Nachjustirung
des betr. Instrumentes erforderlich ist, um etwa 6 bis 10 Mark
erhöhen.
[...] |
11. |
Corrections-Vorrichtung für den Polarisator (Fig. 6) |
|
an der Hülse der Triebführung desselben erhöht den
Preis eines Mikroskopes um.....Mark 10
Zur nachträglichen Anbringung ist die Einsendung
der Polarisator-Triebführung erforderlich; der Preis erhöht sich
in diesem Fall um weitere 5 Mark.
[...] |
Verschiedene Nebenapparate für das Mikroskop. |
21.
|
Vorrichtung zur dauerhaften Kennzeichnung bemerkenswerther Stellen
in mikroskopischen Präparaten. (Fig. 17.)
R. Fuess, Neues Jahrbuch für Mineralogie
1895. |
|
Zur Wiederauffindung bemerkenswerther und interessanter
Theile in mikroskopischen Objecten bedient man sich im Allgemeinen den auf
den meisten Mikroskoptischen angebrachten sogenannten Findertheilungen, indem
man die Stellung des Objectträgers an den beiden zueinander senkrecht
stehenden Skalen abliest und dann notirt. Diese Methode hat aber den Nachtheil,
dass bei einem auf solche Art gekennzeichneten Object die sichere und schnelle
Auffindung bei späteren Beobachtungen auch die Benutzung des gleichen
Mikroskopes, an welchem die betreffende Stelle gefunden ist, bedingt.
Mit dem nachstehend beschriebenen und in Fig. 17 in
natürlicher Grösse abgebildeten kleinen Apparates [sic!],
welcher durch seine Verwendung mit dem Zangen-Objectivwechsler (Fig. 18)
eine einfache und bequem zu handhabende Form erhalten, wird die zur Kennzeichnung
ausersehene Stelle mittelst einer Diamantspitze an der auf der
Deckglasoberfläche eingeritzten Kreislinse [sic!] vermerkt.
[...]
Eine Verschiedenheit in der Stärke der eingeritzten
Kreislinie lässt sich durch mehr oder weniger kräftiges Aufsetzen
der in verticaler Richtung federnden Spitze erzielen. Zur späteren
Beobachtung einer so im Object vermerkten Stelle wird man diese unter Benutzung
des schwächsten Objectives rasch wieder aufgefunden haben. In Etui...Mark
20 |
[...]
Das in meinem Catalog 1891 unter Nr. 43 verzeichnete Mikroskop II
wird in Zukunft mit dem vollkommenen in Figur 27 (Catalog 1891) abgebildeten
beweglichen Objecttisch ausgerüstet. |
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Im Katalog "Optische Instrumente" (R. Fuess mechanisch-optische
Werkstätten Steglitz bei Berlin Abteilung I.; Liste No. 38 [III. Auflage];
Steglitz) von 1907 wird dieses Mikroskop fast baugleich angeboten: |
|
E. Mikroskope für physikalische und mineralogische
Studien
a ) Mikroskope mit drehbarem Tisch und feststehenden Nikols. |
Nr.95 |
Mikroskop Modell I. In dem Grundpreis sind folgende
Gegenstände einbegriffen: |
|
Biot-Kleinsche Quarzplatte (M. 10,-) 1/4 Und.
Glimmerplättchen (Mk. 4,-), Bertrand'sche Linse, Gypsplättchen
Rot I. Ordnung (M. 5.-), Diaphragma für die Stauroskop-Okulare, großer
Kreuzschlittentisch (Fig. 104), Kondensor-Ausschaltung, Objektiv-Klammer
(Fig. 105), einige Werkzeuge und polierter Schrank für das Mikroskop
... 660,- Mark |
Nr.96 |
Mikroskop Modell II (inkl. Zubehörteile wie bei Model
I)...495,- Mark |
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a) Tubus mit drehbarem Innennikol und Irisblende unter der Bertrandlinse
erhöht den Preis des Mikroskops um ...38,- Mark
b) Polarisator-Fassung mit Irisblendung zwischen Nikol und dem Condensorsystem
erhöht den Preis um... 28,- Mark
[...]
c) Zweckentsprechende Ausrüstung:
[...]
Okulare No. 1, 2, 3 (Mark 27,-), [...] und ein Calderon'sches oder
Bertrand'sches Okular (M. 35,-) |
c) Objektive und Okulare
[...] |
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No. |
0 |
2 |
4 |
7 |
9 |
Mk. |
14,- |
18,- |
26,- |
36,- |
64,- |
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Huygens'sche Okulare No. 1, 2, 3, 4, mit Fadenkreuz und einstellbarer
Augenlinse...
a) Für gewöhnl. mineral. Mikroskope...Mark 9,-
Huygens'sche Okulare mit Mikrometer (10 mm in 100 Teile) und einstellbarer
Augenlinse...Mark 16,- |
d) Attribute zu den Mikroskopen
[...]
6. Verschiedene Hilfapparate und Utensilien |
Nr.149 |
Markierapparat, in Etui... 20,- Mark |
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In summa ergibt sich demnach für dieses 1895 hergestellte
Mikroskop nach dem Katalog von 1907 mit hier vorliegender Ausstattung, ohne
Berücksichtigung der Korrektionsvorrichtug des Polarisators ein Preis
von 798,- Mark. |
Heinrich Ludwig Rudolf Fuess (1838
- 1917) wird in Moringen geboren. Er geht 1853-57 beim Mechanicus Hermann
Pfaff in Göttingen in die Lehre. In dieser Zeit besucht er an der dortigen
Universität Vorlesungen zur Mathematik und hört Physik bei
Wilhelm Eduard Weber (1804 - 1891) sowie Optik bei Johann Benedict Listing
(1808 - 1882). Als Geselle arbeitet Fuess bei Hugo Schröder (1834-1902)
in Hamburg und später beim Nivellierhersteller R. Löhmann in Berlin.
Am 01.04.1865 gründet Rudolf Fuess seine Firma mit Räumlichkeiten
in der Mauerstraße 84 in Berlin-Mitte. Bereits in der Preisliste von
1865 werden drei verschiedene Mikroskopstative, drei Objektive und zwei Okulare
(Vergrößerungen von 60- bis 300-fach linear) angeboten. Das
junge Unternehmen zieht 1870 nach Kreuzberg in die Wasserthorstraße
46. Hier wird nach Angaben von Paul Groth (1843-1927) der erste
"krystallographisch-optische Universalapparat" gebaut, dieser junge Mineraloge
hatte an der Universität Berlin 1868 promoviert und sich dort 1870
habilitiert. Anfangs werden in der Fuess'schen Werkstatt in der
Wasserthorstraße Gesteinsdünnschliffe von eingesandten Proben
angefertigt. In Zusammenarbeit mit dem 1868 an die Berliner Universität
berufenen Justus Roth (1818-1892) werden kurz darauf erste systematische
Dünnschliffsammlungen angeboten. Die Firma wächst weiter und zieht
bereits 1873 in die Alte-Jakobstraße 108. Im Jahre 1875 wird die Firma
J.G. Greiner & Geißler von R. Fuess übernommen.
Ab Anfang der 1870er bezieht das Unternehmen die Optiken der Mikroskope von
Eduard Hartnack. In der Fachwelt der Zeit wird dies positiv hervorgehoben,
da sich Fuess so einzig auf die durchdachte mechanische Ausführung der
Mikroskope konzentrieren kann. Die rasch wachsende Firma übersiedelt
1892 nach Berlin-Steglitz und wird für die aus der Firma hervorgehenden
Polarisationsmikroskope weithin gelobt; erst 1927 werden Mikroskope für
biomedizinische Zwecke in das Fertigungsprogramm aufgenommen.
Erst ab Ende der 1870er werden die Mikroskope der Firma durchgehend signiert
und nummeriert - im Jahre 1898 wird das Mikroskop mit der Seriennummer 700
verkauft.
Wer das hier gezeigte Mikroskop ursprünglich erworben und eingesetzt
hat, ist nicht mehr rekonstruierbar. Ein Messprotokoll zu den, mit jenem
Instrument erzielbaren Vergrößerungen aus dem Februar 1940 gibt
als Eigentümer die Consolidated Mining and Smelting Company of Canada
in Trail, BC an (ab 1966 firmiert das Unternehmen als Cominco). Als dieses
Mikroskop 1962 außer Dienst gestellt werden soll, bekommt der Mitarbeiter
Cal Hockley das Instrument für seinen Privatgebrauch geschenkt. Das
Mikroskop verlässt auch die nächsten Jahrzehnte nicht die
1901 gegründete Minenstadt Trail im Bundesstaat British Columbia.
Im Juni 2005 wird das Mikroskop schließlich von Cal Hockley an diese
Sammlung verkauft. |
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[Vergleiche: TU Delft, Niederlande: "Microscoop. Met een vertikale
millimeterschroef, en een draaibare tafel. / Maker: R. Fuess" (ein Stativ
II mit einfachem Tubus und ohne Kreuztisch), Inventarisnummer 1993105]
[Vergleiche Referenz 2, 29, 37, 39, 47, 58, 87, 88, 92, 93, 94 ,
96]
(Fotos und Geschichte zu Trail, BC freundlicher Weise nachgereicht
von Cal Hockley. Restaurierung des Mikroskops durch freundschaftliche
Unterstützung von Dr. Olaf Medenbach, Witten)
06.01.2006 by Timo Mappes
© 2006 by Timo Mappes, Germany