Einfaches Reichert-Mikroskop


C. Reichert, # 6787 C. Reichert, # 6787 C. Reichert, # 6787

Frühes einfaches Mikroskop von Reichert; Mikroskop aus Vollmessing, Wien um 1888/89 - im Jargon der Reichert-Mitarbeiter als Geißfuß (österreichisch für Ziegenfuß) bezeichnetes Stativ. Zaponiertes, geschwärztes und schwarz lackiertes Messing, Stahl. Das einfache Mikroskop mit Auszugstubus verfügt nur über einen einzigen Trieb mit seitlichen Rändelrädern die auf eine Schrägverzahnung wirken.
Die Adresse der Frima Reichert - Karte als rückseitige Umschlagseite von: Ch. Reichert Vienne: Catalogue illustré des microscopes, microtomes etc; No. XV; Wien 1888 Das mit dreh- und schwenkbarem Konkav- und Planspiegel sowie Lochblendenscheibe ausgerüstete Mikroskop ist somit nur für geringe bis mittlere Vergrößerungen geeignet.

Sehr ansprechend wirkt das hochgezogene Vollmessingstativ in seinem schwarzen Lack mit den Golddekorstreifen.

Der im Zapon tadellose Tubus ist in Schreibschrift dekorativ signiert

C. Reichert.
VIII Bennogasse No. 26
Wien

Am ebenfalls zaponierten Rand der runden Tischplatte prangt vom Benutzer aus gesehen rechts die Seriennummer No. 6787  

Ausgestattet ist das Mikroskop mit dem Okular Nr. 3 und seltsamerweise mit einem Objektiv Nr. 7 der Firma Rudolf Wasserlein, Berlin mit Adapterring für Reichert-Gewinde. 

Insgesamt handelt es sich bei diesem Geißfuß um ein sehr gut erhaltenes, eher ungewöhnliches Mikroskop von Carl Reichert - deutlich erkennt man die Parallelen zum Stativ IX der Firma Carl Zeiss Jena.

C. Reichert Wien # 6787 Signatur
C. Reichert Wien # 6787 Seriennummer

C. Reichert # 6787 RückansichtCarl Friedrich Wilhelm Reichert wird am 26.12.1851 in Sersheim, Württemberg geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern lebt er bei seinem Großvater und geht in Bietigheim zur Schule. Eine Mechanikerlehre beginnt er 1865 bei W. Stierle, Heilbronn. Parallel dazu besucht er die gewerbliche Fortbildungsschule. Nachdem er als Geselle in mehreren mechanischen Unternehmen gearbeitet hat ,reist Reichert über Mainz, Köln, Duisburg, Essen, Hannover nach Hamburg. Später zieht es ihn nach Berlin, wo er bei Siemens und Halske Arbeit findet. Schon 1870 fährt der junge Reichert via Leipzig, Dresden und Prag nach Wien. Bedingt durch den deutsch-französischen Krieg verläßt Reichert Wien und zieht mit gleichgesinnten Mechanikern nach Neuchâtel in die Schweiz. Kurze Zeit lebt Reichert danach in Karlsruhe, von wo aus er im Frühjahr 1872 in Pforzheim auf die Firma Öchsle stößt. Beim Vater des damaligen Besitzers war zufällig auch Ernst Leitz in die Lehre gegangen und so kommt es, dass Reichert nach Wetzlar zieht. Ursprünglich ist eine Beteiligung Reicherts an den Leitz'schen Werkstätten geplant. Nach einem einjährigen Aufenthalt bei Hartnack, Potsdam kehrt Reichert 1875 nach Wetzlar zurück, störte sich aber daran, dass Frau Leitz sich zunehmend in die Geschäfte einmischt.

Carl Reichert (1851 - 1922)Einvernehmlich trennt sich Reichert von Leitz und übersiedelt mit zwei Mechanikern im November 1876 in die Mölkergasse 3, Wien. Dort werden nach Hartnack'schem Vorbild Mikroskope hergestellt.

Als sich das Unternehmen gefestigt hat, übersiedelt die Werkstatt im Jahre 1878 in die Laudongasse 40 und Reichert nimmt im gleichen Jahr die Schwägerin von Ernst Leitz zur Frau, welche jedoch schon im März 1881 an Kindbettfieber stirbt. Mitte November des selben Jahres heiratet Reichert die Schwester seiner verstorbenen Frau. Die Werkstatt ist 1881 ebenfalls umgezogen und befindet sich nun in der Bennogasse 26.

Der erste Erfolg der Firma ist die Pariser Ausstellung 1878. Der damalige österreichische Generalkommissär der Optik und Mechanik, Freiherrn von Wertheim veranlaßt Carl Reichert das junge Unternehmen hier mit seinen Mikroskopen vorzustellen. Der Firma kann sämtliche ausgestellten Instrumente verkaufen und bekommt die große Goldene Medaille verliehen.

Derart ausgezeichnet laufen rasch viele Bestellungen weiterer Mikroskope in Wien ein - mit 50 Mitarbeitern verkauft Carl Reichert bereits 1883 sein Mikroskop Nr. 1000.

Das universelle Stativ Reicherts nach dem Vorbilde Hartnacks wird 1889 auf der Pariser Weltausstellung wiederum mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet.

Im Jahre 1891 wird die Seriennummer 10000 erreicht und noch vor der Jahrhundertwende kann das 20000ste Mikroskop 1898 die Werkstatt verlassen.

Am 12.12.1922 verstirbt der Kaiserliche Rat Carl Reichert in Wien.

(Vergleiche Referenz 2, 3, 9, 22, 25, 82 sowie "Quekett Journal of Microscopy", 2001, 39, S. 59-72;  Produktionszahlen mit freundlicher Unterstützung von Fritz Schulze, Priceville, Ontario, Kanada)


16.04.2002 by Timo Mappes

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